Dipl.-Ing. Horst Fabisch (Bauingenieur)
Text 01/2023
Die VOB/B und das AGB-Gesetz - eine unendliche Geschichte
1. In Bauverträgen mit öffentlichen Auftraggebern wird die VOB/B regelmäßig als Vertragsgrundlage vereinbart. Bei großen Bauprojekten, die von privaten Auftraggebern durchgeführt werden, ist dies ebenfalls oft der Fall. Die VOB/B hat immer noch den „Ruf“, für Bauprojekte die besseren Regelungen zur Verfügung zu stellen. Dieser „Ruf“ hält sich hartnäckig, obwohl er nicht gerechtfertigt ist.
2. Mittlerweile ist allgemein bekannt, dass die VOB/B ohne Einschränkung als Ganzes vereinbart werden muss. Nur dann ist sie in weiten Teilen nicht AGB‑rechtswidrig. Der BGH (Bundesgerichtshof) hat dies immer wieder bestätigt, zuletzt mit Urteil vom 19.01.2023.
2.1 Die Landgerichte und Oberlandesgerichte haben oft die Auffassung vertreten, dass vertragliche Abweichungen vom Text der VOB/B erheblich sein müssen, damit sie nicht mehr als „im Ganzen vereinbart“ anzusehen ist.
Der BGH hat in seiner letzten Entscheidung vom 19.01.2023, Geschäfts-Nr. VII ZR 34/20, (abgedruckt in www.rechtscentrum.de) noch einmal deutlich gemacht, dass es nicht darauf ankommt, wie schwerwiegend die Abweichung vom Text der VOB/B ist. Wörtlich heißt es in dem Urteil wie folgt:
„Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22.01.2004 dahin gehend modifiziert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB vorliegen. Ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen „ausgeglichen werden, ist unerheblich“.“
2.2 Auch kleinste Abweichungen vom Text durch vertragliche Regelungen führen demnach dazu, dass die VOB/B nicht mehr als Ganzes vereinbart ist und damit ihre einzelnen Regelungen dem AGB-Recht unterliegen.
3. Abweichungen vom Vertragstext führen zu einer Überprüfung der einzelnen Regelungen der VOB/B auf ihre Vereinbarkeit mit dem AGB-Recht. Dadurch kann es zu erheblichen Nachteilen in der Vertragsgestaltung kommen. Folgende Regelungen der VOB/B sind bisher durch die Rechtsprechung für AGB-rechtswidrig erklärt worden:
§ 1 Nr. 3 VOB/B
§ 1 Nr. 4 VOB/B
§ 2 Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 VOB/B
§ 2 Nr. 10 VOB/B
§ 4 Nr. 7 VOB/B
§ 12 Nr. 5 VOB/B
§ 13 Nr. 4 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B
§ 13 Nr. 7 Abs. 1 bis Abs. 3 VOB/B
§ 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B
§ 16 Nr. 3 VOB/B
§ 17 Nr. 8 Abs. 2 VOB/B
und nunmehr neu:
§ 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 VOB/B i. V. m. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B
Die aufgeführten Regelungen sind bei Leistungsstörungen in der Bauabwicklung nicht zu berücksichtigen. Sie sind nach dem AGB-Recht rechtswidrig. Sie werden von der Recht-sprechung nur toleriert, wen die VOB/B ohne Veränderungen vereinbart und auch nicht durch ergänzende vertragliche Regelungen eingeschränkt wird.
Lehrte, den 27.06.2023
Anhang
Eine ausführliche Darstellung der AGB-rechtswidrigen Verfahren der VOB/B.
§ 1 Nr. 3 VOB/B
der VOB/B-Text lautet.
„(3) Änderungen des Bauentwurfes anzuordnen, bleibt dem Auftraggeber vorbehalten.“
Dieser Text hält einer AGB-Prüfung nicht stand. In einem Vertrag kann nicht eine Vertragsseite Änderungen anordnen. Vertragsänderungen unterliegen einer gegenseitigen einvernehmlichen Vereinbarung, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist. Es verwundert schon sehr, dass diese Formulierung Eingang in die VOB/B gefunden hat. Sie dürfte auch unter Kaufleuten einer AGB-Prüfung nicht standhalten.
§ 1 Nr. 4 VOB/B
der VOB/B-Text lautet:
„(4) Nicht vereinbarte Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden, hat der Auftragnehmer auf Verlangen des Auftraggebers mit auszuführen, außer wenn sein Betrieb auf derartige Leistungen nicht eingerichtet ist. Andere Leistungen können dem Auftragnehmer nur mit seiner Zustimmung übertragen werden.“
Auch diese Formulierung ist aus AGB-Sicht sehr fragwürdig, verlangt sie doch vom AN mehr oder weniger unkalkulierbare Zusatzleistungen, ohne eine Leistungsgrenze festzulegen und die Bezahlung zu regeln.
§ 2 Nr. 6 Abs. 1 Satz 2
Der VOB-Text:
„Er muss jedoch den Anspruch dem Auftraggeber ankündigen, bevor er mit der Ausführung der Leistung beginnt.“
macht einen zusätzlichen Vergütungsanspruch des Auftragnehmers von einer vorherigen Ankündigung abhängig. Dies ist in der vorliegenden Form Rechtswidrig. (Ingenstau/Korbion, 16. Auflage, Anhang 1, Randnr. 71; BGH, BauR 2004, 288ff = IBR 2004, 125)
§ 2 Nr. 10 VOB/B
Nach dieser Vorschrift werden Stundenlohnarbeiten nur dann vergütet, wenn diese zuvor ausdrücklich vereinbart wurden. Der VOB/B-Text lautet:
„(10) Stundenlohnarbeiten werden nur vergütet, wenn sie als solche vor ihrem Beginn ausdrücklich vereinbart worden sind (§ 15).“
Diese Formulierung hält einer AGB-Prüfung nicht stand. Das OLG Schleswig hat sie in seiner Entscheidung vom 02.06.2005 – 11 U 90/04 (www.RechtsCentrum.de) für unwirksam befunden.
§ 4 Nr. 7 VOB/B
Der VOB/B-Text lautet:
„(7) Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, hat der Auftragnehmer auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen. Hat der Auftragnehmer den Mangel oder die Vertragswidrigkeit zu vertreten, so hat er auch den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, so kann ihm der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Absatz 3).“
Aus AGB-Sicht ist Satz 2 nicht zulässig. Auf dieses auch in den §§ 326 Abs. 1 und § 634 Abs. 1 BGB a.F. enthaltene Erfordernis einer vorherigen Androhung hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet, um formale Fehler zu verhindern und dem Gläubiger eine Loslösung vom Vertrag zu erleichtern (BT-Drucksache 14/6040 Seite 139).
§ 5 Nr. 4 VOB/B
Der VOB/B-Text lautet:
„(4) Verzögert der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung, gerät er mit der Vollendung in Verzug, oder kommt er der in Absatz 3 erwähnten Verpflichtung nicht nach, so kann der Auftraggeber bei Aufrechterhaltung des Vertrages Schadensersatz nach § 6 Absatz 6 verlangen oder dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung setzen und erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe (§ 8 Absatz 3).“
Es gilt vorstehendes zu § 4 Nr. 7 VOB/B
§ 12 Nr. 5 VOB/B
Die Abnahmefiktion des § 12 Nr. 5 hält einer isolierten Inhaltskontrolle nicht stand. Das ist einhellige Meinung (Ingenstau/Korbion, 16. Auflage, Anhang 1, Randnr. 76).
Der VOB/B-Text lautet:
„(5) 1. Wird keine Abnahme verlangt, so gilt die Leistung als abgenommen mit Ablauf von 12 Werktagen nach schriftlicher Mitteilung über die Fertigstellung der Leistung.
§ 13 Nr. 4 Abs. 1 und 2 VOB/B
Die Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist auf 4 Jahre ist rechtswidrig. Unverständlich, warum der Verdingungsausschuss weiterhin auf eine solche rechtswidrige Lösung beharrt.
Der VOB/B-Text lautet wie folgt:
(4) 1. Ist für Mängelansprüche keine Verjährungsfrist im Vertrag vereinbart, so beträgt sie für Bauwerke 4 Jahre, für andere Werke, deren Erfolg in der Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache besteht, und für die vom Feuer berührten Teile von Feuerungsanlagen 2 Jahre. Abweichend von Satz 1 beträgt die Verjährungsfrist für feuerberührte und abgasdämmende Teile von industriellen Feuerungsanlagen 1 Jahr.
§ 13 Nr. 7 Abs. 1 – 3 VOB/B
Die Bestimmungen wurden zwar in der neuesten Fassung der VOB/B entschärft, die Haftung wird aber weiterhin eingeschränkt. Die Beschränkung der Haftung für „Kardinalspflichten“ in AGB ist jedoch unzulässig (BGHZ 149, 89ff). Da die mangelfreie Herstellung des Werkes die wesentliche Vertragspflicht des Auftragnehmers ist, kann eine Haftung für deren ordnungsgemäße Erfüllung nicht beschränkt werden. § 13 Nr. 7 Abs. 1 – 3 VOB/B halten daher einer isolierten Inhaltskontrolle nicht stand (Ingenstau/Korbion, 16. Auflage, Anhang 1, Randnr. 77).
§ 15 Nr. 3 Satz 5 VOB/B
Die Formulierung in § 15 Nr. 3 Satz 5
„Nicht fristgemäß zurückgegebene Stundenzettel gelten als anerkannt“
steht im Widerspruch zu § 308 Nr. 5 BGB, der auch auf den kaufmännischen Geschäftsverkehr anzuwenden ist BGHZ 101, 365ff; Palandt/Heinrichs § 308 Randnr. 30)
§ 16 Nr. 3 VOB/B
Die Schlusszahlungsregelungen nach § 16 Nr. 3 VOB/B:
(3) 1. Der Anspruch auf Schlusszahlung wird alsbald nach Prüfung und Feststellung fällig, spätestens innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der Schlussrechnung. Die Frist verlängert sich auf höchstens 60 Tage, wenn sie aufgrund der besonderen Natur oder Merkmale der Vereinbarung sachlich gerechtfertigt ist und ausdrücklich vereinbart wurde. Werden Einwendungen gegen die Prüfbarkeit unter Angabe der Gründe nicht bis zum Ablauf der jeweiligen Frist erhoben, kann der Auftraggeber sich nicht mehr auf die fehlende Prüfbarkeit berufen. Die Prüfung der Schlussrechnung ist nach Möglichkeit zu beschleunigen. Verzögert sie sich, so ist das unbestrittene Guthaben als Abschlagszahlung sofort zu zahlen.
Diese Schlusszahlungsregelungen stehen im Widerspruch zu den §§ 641 Abs. 1 Satz 1 und § 286 Abs. 3 BGB und damit gegen die wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (sofortige Fälligkeit bei Abnahme, Verzug auch ohne Mahnung 30 Tage nach Fälligkeit und Erhalt einer Rechnung). Sie halten damit einer isolierten Inhaltskontrolle nicht stand.
§ 17 Nr. 8 Abs. 2 VOB/B
Der Text lautet:
„2. Der Auftraggeber hat eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche nach Ablauf von 2 Jahren zurückzugeben, sofern kein anderer Rückgabezeitpunkt vereinbart worden ist. Soweit jedoch zu diesem Zeitpunkt seine geltend gemachten Ansprüche noch nicht erfüllt sind, darf er einen entsprechenden Teil der Sicherheit zurückhalten.“
Diese Regelung ist zumindest überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB (Tempel, NZBau 2002, 532; Ingenstau/Korbion, 16. Auflage, Anhang 1, Randnr. 78). Der Auftraggeber wird hierdurch unzulässig verpflichtet, eine vereinbarte Gewährleistungssicherheit deutlich vor Ablauf der Regelfrist herauszugeben.